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10 Fragen für Sina Heiss
Sommerinterview mit den ANANAS
Bevor es am 05. Juli 2024 losgeht, haben wir für euch zur Einstimmung ein kurzes Interview mit Sina Heiss, die gleich mit zwei Kursen zur Internationalen Sommerakademie dabei sein wird: Ein Regie Führen Kurs „Blick hinter die Kulissen“ und „Viewpoints“ ein Viewpoint Acting Workshop.
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🍍Gab es eine bestimmte Erfahrung, wodurch du dich entschieden hast so intensiv mit den Viewpoints zu arbeiten?
Sina Heiss: Ich habe früher sehr viel Improtheater gespielt und bei Performances mitgemacht. Ich kam relativ früh mit Schausspieltechniken in Kontakt, die an Viewpoints angelehnt sind und habe dann jahrelang selbst experimentelle Improvisation unterrichtet und den Viewpoints ähnliche Techniken verwendet. Da wusste ich noch nicht, dass sie „Viewpoints“ heißen.
Erst mit meinen USA Aufenthalten und dem Kontakt mit Anne Bogart habe ich dann verstanden, dass ich diese Technik eigentlich schon sehr lange selbst verwende. Das war eine sehr positive Überraschung.
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🍍Gab es schon Situationen, in denen Personen nicht durch die Techniken profitieren konnten und zu kopflastig wurden? Was tust du dann?
Sina Heiss: Nein, eher das Gegenteil. Es gibt eine Art Schwelle in der Arbeit mit den Viewpoints, die man übertreten muss, um den Kopf ausschalten zu lernen. Die Viewpoints helfen dabei, den inneren Zensor bewusst zu „pausieren“.
Aber das geht nicht von heute auf morgen, weil wir in einer sehr kopflastigen Zeit leben, wo viele ihrem Körper nicht vertrauen oder ihn gar nicht mehr wahrnehmen können. In der Arbeit mit den Viewpoints wird das vielen Menschen erst so richtig bewusst und das kann sich irgendwie komisch anfühlen.
Wenn man aber dranbleibt und dem Körper und seinen Impulsen vertraut, löst sich dieses Gefühl irgendwann komplett auf. Dann bekommt Improvisation Tiefe.
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🍍Viewpoints sind in den USA seit vielen Jahren sehr bekannt. Hier in Europa sind sie noch immer fremd und werden an Ausbildungsstätten kaum angeboten. Womit erklärst du dir das?
Sina Heiss: Jeder Kulturkreis dieser Welt hat seine Schwerpunkte. In der Kunst werden diese sichtbar. In manchen Ländern wird gerne und viel getanzt, in anderen wird gerne und laut gelacht und im deutschen Sprachraum wird gerne philosophiert, nachgedacht und viel (!) gesprochen. Wir nennen das Sprechtheater.
Ich weiß bis heute nicht genau, was ich davon halten soll, weil Theater für mich ein Ort ist, an dem ich Menschen und deren Beziehungen miteinander „beschauen“ kann. (griech. theatron – schauen) Das heißt für mich dann automatisch, dass es um den ganzen Körper geht.
Bei uns im deutschen Raum gibt es leider oft „Talking Heads“, also Akteur:innen, die nicht ganzheitlich arbeiten und ihr Handwerk nur auf Text umlegen. Das finde ich schade, weil Kommunikation auf sehr viel mehr Ebenen stattfindet als nur sprachlich; und weil der Körper in der Beziehung mit der Umwelt immer eine Rolle spielt.
Bewegung und Tanz und der bewusste Umgang mit Objekten im Raum können auch ohne Worte magisch sein.
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🍍Hast du ein Lieblingsviewpoint? Wenn ja – welches und wieso genau dieses?
Sina Heiss: Kinästhetische Reaktion finde ich spannend. Das ist ein plötzlicher Impuls, dem ich (ohne den Kopf einzuschalten 😉 nachgebe. Wenn beispielsweise jemand neben mir plötzlich losläuft, habe ich vielleicht den Impuls, auch loszulaufen.
Oder wenn ich einen Schuss höre, zucke ich körperlich zusammen. Wenn eine Gruppe von improvisierenden Akteur:innen gut aufeinander abgestimmt sind und sich auf deren körperliche Impulse verlassen, dann entstehen oftmals wunderbare, nicht vorhersehbare Konstellationen auf der Bühne.
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🍍Gab es jemals ein Projekt von dir bei dem eine Ananas eine wichtige Rolle gespielt hat?
Sina Heiss: Keine Ananas, aber eine Birne.
Ich habe vor Jahren bei einem Musicalprojekt in den USA eine singende Birne gespielt, die die Welt bereist. Ich war die einsame „Pear“ (ein Wortspiel mit „pair“) und habe mich nach einem Freund gesehnt und überall danach gesucht.
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🍍Man sagt ja, einige haben ein Auge für Regie. Kannst du ein paar Beispiele sagen, woran man das merkt?
Sina Heiss: Ich glaube nicht so sehr an Talent per se, wenn du das meinst, Ananas.
Ich denke, jeder Mensch muss Ziele haben und Richtungen einschlagen und wissen, wo die Reise hingeht. Das ist schon Regie. Regie über das eigene Leben. Im englischen heißt Regie „Direction“. Das ist für mich klarer.
Was man lernen kann ist, seine künstlerischen Zielsetzungen genau zu formulieren und dem kreativen Team und den Akteur:innen so mitzuteilen, dass alle ganz genau wissen, was als nächstes zu tun ist.
Außerdem ist es von Vorteil, wenn man sich Dinge sehr gut merken kann.
Einfühlsamkeit und Menschenkenntnis sind wichtig. Leider haben das viele Regisseur:innen nicht und verhalten sich oft komplett daneben.
Was sehr wichtig ist, ist die Fähigkeit, geduldig und aufmerksam zuzuschauen.
Meine Lehrerin Anne Bogart sagte mal: „As a director you are something like a litmus test for the actors. You know, that little stripe of paper where you pee on. You are the very first audience for them. Your reaction tells them that their direction is right.“
Das finde ich trifft´s ganz gut, oder?
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🍍Wie sah der Moment aus, in dem du dich entschieden hast, dass du Regie führen möchtest?
Sina Heiss: Kein Moment. Eher ein Prozess. Ich habe selbst jahrelang gespielt, gesungen, improvisiert und unterrichtet. Ich habe immer großes Lampenfieber gehabt. Irgendwann habe ich mir gedacht, also hinter der Bühne macht mir die Arbeit mehr Spaß. Da bin ich entspannter. Und Entscheidungen treffen kann ich auch. Das fällt mir leicht.
Seitdem denke ich, dass Regie mir am besten liegt. Und ich mag meinen Beruf wirklich sehr.
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🍍Gab es schonmal ein Projekt, mit dem du am Ende nicht zufrieden warst? Wenn ja, was genau hat dir nicht gefallen und was hast du dann gemacht?
Sina Heiss: Theater ist immer im Fluss. Die Zeit, etwas zu produzieren scheint immer viel zu kurz zu sein. Deshalb habe ich eigentlich fast immer das Gefühl, dass ich noch etwas verbessern hätte können. Ich denke, die meisten Künstler:innen kennen das Gefühl, dass ihre Arbeit „noch nicht fertig“ ist. Aber so richtig unzufrieden war ich noch nie.
Was ich sehr wohl kenne sind Konflikte mit Kolleg:innen. Die fühlen sich immer schrecklich an. Da denke ich mir dann, was hätte ich anders machen können? Schön ist es dann aber, wenn ich Unterstützung aus dem Team bekomme und höre, dass ich mein Bestes gegeben habe.
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🍍Ein Thema in deinem Kurs ist die Kommunikation mit den Schauspieler:innen. Gibt es einen speziellen Grund, warum dir dieses Thema wichtig ist?
Sina Heiss: Weil gute und klare Kommunikation extrem wichtig ist. Wenn du eine großartige Idee hast, den Geniestreich schlechthin, und du kannst ihn nicht in Worte fassen, dann ist das tragisch. Weil ja dann niemand davon erfahren wird.
Oder, du kannst deine Zielsetzungen beschreiben, verhältst dich aber menschlich total daneben und verärgerst oder beleidigst oder verunsicherst dein Team. Dann wird das Ergebnis auch nicht so gut, weil alle unter Druck stehen. Kommunikation muss wie gesagt auch nicht immer aus großen Worten bestehen.
Ich habe einmal für die Choreografin Annie-B-Parson gearbeitet, die nie viel gesprochen hat. Sie konnte aber extrem gut zuschauen. Ihre Aufmerksamkeit und ihr tiefes Interesse an den Spielenden allein reichte aus, um deren Fokus so zu bündeln, dass das Ergebnis genial wurde. Das war ein großes Aha-Erlebnis für mich.
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🍍Hast du Tipps, wie Teilnehmer:innen sich auf den Regie Kurs „Blick hinter die Kulissen“ vorbereiten könnten, vor allem wenn die Neugierde schon groß ist?
Sina Heiss: Es ist sicher von Vorteil, das Viewpoints Buch von Anne Bogart und Tina Landau gelesen zu haben. Somit haben wir eine gute Gesprächsgrundlage. Überlegt euch doch gerne auch Fragen oder Themen, die ihr diskutieren möchtet. Ich bin sehr neugierig darauf. Was bedeutet Regie für dich? Was geht dir spielend von der Hand, wo gibt’s Reibung und wo gibt es kompletten Widerstand?
Danke, Sina Heiss, für das Interview. Wir freuen uns auf die Workshops!
Mehr über Sina Heiss findest du hier im Portrait.
Die Internationale Sommerakademie mit Sina Heiss:
Viewpoint Acting Training: „Die Viepoints“ – Internationale Sommerakademie 15. – 18. Juli 2024
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Ein Beitrag von Ingrid Sturm
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